Die Gründung

 

Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es auf dem Land nur die Zusammenschlüsse der Zünfte, die Gewerkschaften oder beruflichen Vereinigungen wie z.B. in Ruhpolding den Holzknechtverein oder die althergebrachten Schützengesellschaften. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden allerorts Vereine und Gesellschaften gegründet.

Der Wunsch nach Geselligkeit, der Zusammenschluss von Gleichgesinnten war hierzu sicherlich der Anlass. Dies bedeutete jedoch die Hinwegsetzung über "festgefahrene´ Traditionen, insbesondere bei den starken Gegensätzen zwischen Besitzenden, Arbeitern und Dienstboten, aber ebenso zwischendem Status der Älteren und der immer stärker durch Bildung und damit verbundenem Wissen aufgeschlossenen Jungend.

Der Aufbruch in eine neue Zeit werden sicherlich auch die Ruhpoldinger Bürger verspürt haben. Die rege Bautätigkeit im Dorf, alle Häuser entlang der Hauptstrasse von der Johannesbrücke bis zur heutigen Sparkasse wurden 1880 bis anfang 1890 erbaut und die Aktivitäten des 1873 gegründeten "Verschönerungsvereins" werden sicherlich das ihre dazu beigetragen haben. Bisher war den meisten, den Nichtbesitzern, der Zugang zu geselligen Veranstaltungenaus aus moralischen und finaziellen Gründen verwehrt. Waren doch die Gegenleistungen für die harte Arbeit überwiegend auf materiellen Lohn wie Wohnung, Nahrung und Kleidung ausgerichtet.

Es muß schon eine kleine oder sogar eine große Revolution gegen das Althergebrachte gewesen sein, als sich 1891 eine stattliche Anzahl Ruhpoldinger Burschen, ohne Rücksicht auf den Stand und Herkunft trafen und den "Burschenverein" gründeten. Der Zusammenschluß ging quer durch die jungen Männer unseres Dorfes. Ganz gleich, ob er ein Dienstknecht, Hoferbe, Handwerker, Forstarbeiter oder Schmied war, sie alle folgten dem Aufruf, denn eines hatten sie gemeinsam: Jungend, Toleranz und Lebensfreude.

Wie ein Lauffeuer wird sich die Kunde vom "Burschenverein" im ganzen Ruhpoldinger Tal verbreitet haben und sicherlich nicht überall auf Begeisterung gestoßen sein.Der Hauptzweck des Zusammenschlusses der 18- bis 25jährigen Burschen war nämlich die Geselligkeit zu pflegen und zu fördern. Die Stimmung im Dorf und insbesondere bei der in diesen Dingen bestimmenden Geistlichkeit kann man sich gut vorstellen. Am besten gibt es das Schreiben des kath. Pfarramts wieder, diesem wurden von der Gemeindeverwaltung die ausgearbeiteten Vereinsstatuten des "Burschenvereins" zur Einsichtnahme vorgelegt. Scheinbar erhofften sich die Gemeindeväter die entsprechende Unterstützung durch die Geistlichkeit gegen das Ansinnen ihrer Söhne und Dienstknechte.

 

Der Herr Pfarrer schrieb an das Kgl. Bezirksamt in Traunstein:

 

"Meine Ansicht bezüglich dieses neuen zur Förderung und Wecken der Gemütlichkeit unter den hiesigen Bauernburschen gegründeten Vereins geht dahin, daß dieser für das sittliche und materielle Wohl der hiesigen Bevölkerung nur nachteilige Folgen haben werde. Dem ohnehin so mächtig hervortuenden Hang auch der ländlichen Jugend zur Genuß- und Vergnügungssucht wird duch diesen Verein neue Nahrung geboten werden. Sparsinn und Einfachheit der Lebensweise diese für das Wohlergehen der hiesigen, meist armen Bergbevölkerung so notwendigen Tugenden, dem ohnehin schon so selten geworden,werden noch mehr ausser Übung kommen. Die Eintracht der Familie, das gute Einvernehmen zwischen Eltern und erwachsenen Söhnen wird gar oft Schaden leiden müssen. Ganz besonders befürchtet der ergebenst Unterzeichnete, daß durch diesen neuen Verein das bisher unter den Bauernburschen noch ziemlich unbekannte "kneipen" an Werktagen in Usus kommt, durch Veranstaltungen und Lustbarkeiten, Tanzkränzchen auch auf die weibliche Jugend ein verderblicher Einfluß ausgeübt werden wird und namentlich an den Sonn- und Feiertagen während der Sommermonate die jetzt schon ab und zu vorkommenden argerlichen Umzüge der Burschen von Alm zu Alm mit ihren Winkeltänzen und anderweitigen für die Sittlichkeit der jungen Leute so gefährlichen Gepflogenheiten immer häufiger vorkommen werden. Aus diesen Grund stellt das ergebenst unterfertige Pfarramt an das Kgl. Bezirksamt die wohlmotivierte Bitte, den Statuten des "Burschenvereins Ruhpolding" die distriktpolizeiliche Genehmigung versagen zu wollen. 

Das kath. Pfarramt Ruhpolding

Jos. Thalmayr, Pfarrer"

 

Die Hilfestellung des Herrn Pfarrers war jedoch ohne Erfolg. Das Bezirksamt teilte dem Bürgermeister Anton Pointner mit, daß der "Burschenverein" eine polizeiliche Bewilligung zu seiner Gründung nicht benötigt. Dem Herrn Pfarrer wurde mitgeteilt, dass es keine gesetzlichen Möglichkeiten gibt, den "Burschenverein" zu verbieten. Damit hatten die jungen Burschen ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Der starke Mitgliederzuwachs brachte ihnen die Bestätigung der übrigen Burschen im Dorf. So zählte der Verein im Jahre 1893 annähernd 140 Mitglieder. Die Vorstandschaft setzte sich damals wie folgt zusammen. 1. Vorstand Sebastian Nothegger (genannt Viehdoktor Wastl), Schriftführer Josef Schweiger, Kassier Andre Haßlberger.

Als Eintrittsgebühr wurde von jedem Mitglied 60 Pfennig und als Jahresbeitrag 50 Pfennig erhoben. Leider sind über die Vereinsveranstaltungen nur spärlich Aufzeichnungen gemacht worden. Erwähnt wurden Burschenball, Christbaumfeier, Gartenfeste u.ä. 1895 wurde Josef Schweiger der 1. Vorstand gewählt. Der "Viehdoktor Wastl" mußte wegen Heirat aus der Vorstandschaft ausscheiden. Laut Satzung durften nur unverheiratete Burschen in die Vorstandschaft gewählt werden. Trotz der geringen Einnahmen entschloss man sich zum Erwerb einer Fahne. Diese wurde 1898 für 500 Mark angeschafft und am 18. Juli konnte die Fahne geweiht werden. Der Patenverein kam aus Reit im Winkl. Dass der Burschenverein inzwischen von der Gemeinde akzeptiert war, zeigt das von der Gemeinde gestiftete Fahnenband. Auf der Fahne war der Hl. Valentin aufgestickt. Der Schutzpatron der Kranken zeigt bereits den Weg den der Burschenverein eingeschlagen hat. Aus dem anfänglichen Anliegen, die Geselligkeit zu pflegen und zu fördern, wurde bald die Hilfe für die Vereinsmitglieder im Krankheitsfall das oberste Gebot des Vereins. Der "Burschenkrankenunterstützungsverin Ruhpolding", wie sich der Verein nun nannte, konnte seinen Mitgliedern in Notfällen beistehen und finanziell unterstützen.

 

1900 übernahm Johann Haßlberger das Amt des 1. Vorstandes. Von 1903 bis 1910 hatte Josef Pointner dieses Amt inne. 1909 sind im Protokollbuch Bürgermeister Mathias Huber, Triftschuster und Pfarrer Joseph Ficker als Ehrenmitglieder aufgeführt. Ab 1910 leitete Franz Haßlberger die Geschicke des Verein´s, der im Jahre 1914 die stattliche Anzahl von 370 Mitgliedern aufwies. Durch die Kriegszeit kam das Vereinsleben zum Erliegen, jedoch nicht die Hilfe für die in Not geratenen Mitglieder und die tröstende Unterstützung der Angehörigen, denn 40 Kameraden sind auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges geblieben.

Ab 1919 führte Otto Zeller den Verein, der 1921 von Max Bichler abgelöst wurde. In der schweren Zeit von 1922 bis 1936 war Engelbert Maier 1. Vorstand. Unter seiner Führung wurde 1926 die grundlegende Restaurierung der Fahne in Auftrag gegeben und die kunstvollen Arbeiten im St. Annahaus in Ruhpolding ausgeführt. Laut Rechnung wurden dabei 879 Arbeitsstunden a´60 Pfennig benötigt. Insgesamt kostete die Restaurierung 813,95 Mark. Dieser Betrag konnte in monatlichen Teilzahlungen beglichen werden. Am 3. und 4 Juli 1926 wurde das 35jährige Gründungsjubiläum mit einem großen Fest begangen. Am Samstag war nach dem Zapfenstreich musikalische Unterhaltung im Vereinslokal "Gasthof zur Post". Am Sonntag kündete bereits um 5 Uhr der musikalische Weckruf mit Böllersalven dem ganzen Dorf das festliche Ereignis. Der überaus ruhige Vostand Engelbert Maier, genannt "Burschen Engl", wurde für seine vierzehnjährige Tätigkeit zum Ehrenvorstand ernannt.

Die Fahnenabordnung des "Burschenvereins" maschierte traditionsgemäß mit schwarzen Anzügen und weißen Handschuhen. Selbstverständlich mußten laut Satzung, der Fahnenjunker mit seinen Begleitern, genausowie die Vorstandschaft, unverheiratet sein.

Als Vorstände folgten Mathias Steinberger, 1939 Franz Demmelmair und 1940 Benno Haßberger. Durch den 2. Weltkrieg mußte der Verein den Verlust von 35 Mitgliedern beklagen.

1947 wurde Christian Hechenbichler mit der Führung und dem Wiederaufbau des Vereins betraut. Er wurde 1950 von seinem Bruder Josef abgelöst. Diesem folgten 1951 Isidor Gruttauer und 1954 Nikolaus Hinterseer. Vorstand und Ausschuß bemühten sich, die stark beschädigte Vereinsfahne erneuern zu lassen. Insbesondere dem Kassier Ludwig Winkler war es zu verdanken, daß durch Spenden der Ehrenmitglieder und Gönner des Vereins die Fahne erneuert und am 23.05.1954 in der Pfarrkirche geweiht werden konnte.1956 wählten die Mitglieder Ludwig Winkler zum 1. Vorstand, dem wiederum 1959 Mathias Gstatter folgte. Mit Josef Plenk "Stockreiter" wurde 1960 ein Mann an die Spitze des "Burschenvereins" gewählt, der 50 Jahre die Geschicke des Vereins mit seiner Vorstandschaft und dem Ausschuß leitete.

Besonders in den Anfangsjahren seiner Tätigkeit als 1. Vorstand galt es für Josef Plenk Probleme von weitreichender Bedeutung für den Verein zu lösen. Bereits bei der Generalversammlung am 8. Januar stand als Punkt 4 der Tagesordnung die Satzungsänderung zu Beschlußfassung an. Die bisherige Satzung des "Burschen-und Krankenunterstützungsvereins Ruhpolding" mußte außer Kraft gesetzt werden und eine neue, zeitgemäße Satzung beschlossen werden. Bei dieser Versammlung erläuterte der damalige Amtmann Leonhard Schmucker die Zweckmäßigkeit der von ihm ausgearbeiteten Satzung und erklärte sich bereit, den Verein bei den zu erwartenden behördlichen Schwierigkeiten zu unterstützen. Die Auflösung des Vereins wurde mit Entschließung der Regierung Oberbayern am 2. Oktober 1963 genehmigt. Seit der Satzungsänderung führt der Verein wieder den Namen "Burschenverein Ruhpolding".

Zum 100jährigen Jubiläum entschloß man sich zur Anschaffung einer neuen Fahne. Die großzügige Unterstützung der Mitglieder und Gönner hat ermöglicht, daß am 4. August 1991 an der Schützenkapelle beim Festgottesdienst die Fahne mit den Bändern der Fahnenmutter Elisabeth Rechl und der Fahnenbraut Christine Hinterreiter sowie dem Trauerband von Monika Praxenthaler geweiht werden konnte. Im Anschluß wurde der "Burschenverein Ruhpolding" vom Gauverband dazu beauftragt, das Gaufest 1991 auszutragen. Dieses Jubelfest war ein würdiger Anlass, den Burschen und Männern des Vereins, die sich seit einem Jahrhundert für ihre Ideale zum Wohl der Mitglieder und damit für unser Dorf eingesetzt haben, zu gedenken und zu danken.